AVIVA-Interview- + Fotoprojekt JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS: Mark L. - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Juedisches Leben



AVIVA-BERLIN.de 3/3/5785 - Beitrag vom 04.04.2021


AVIVA-Interview- + Fotoprojekt JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS: Mark L.
Sharon Adler, Mark L.

Um die Erfahrungen und Forderungen von Jüdinnen und Juden zu (Alltags-)Antisemitismus in Dortmund sichtbar zu machen, hat AVIVA-Berlin in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund – Koordinierungsstelle Vielfalt, Toleranz und Demokratie dieses Projekt initiiert. Einer der Teilnehmer:innen ist der Lehrer für Sport und Geschichte, Mark L., dem es wichtig ist, seine Schüler:innen für Antisemitismus in allen Erscheinungsformen zu sensibilisieren, besonders in den digitalen Medien und im Rap. Sein Slogan lautet: "JETZT ERST RECHT! - STOP ANTISEMITISMUS" – "Einmal im Jahr "Nie wieder" twittern reicht nicht!"




Antisemitismus in Dortmund

Die Bilanz antisemitischer Straftaten erfährt einen kontinuierlichen und rasanten Anstieg. Die Zahlen des im April 2020 veröffentlichten ersten Antisemitismusberichtes für Nordrhein-Westfalen für 2019 belegen einen Zuwachs um 19,6%.


AVIVA: JETZT ERST RECHT! - STOP ANTISEMITISMUS! Für das Demo-Schild gegen Antisemitismus hast Du das Statement "Einmal im Jahr "Nie wieder" twittern reicht nicht!" gewählt. Welche Message möchtest Du damit transportieren? Warum ist es Dir wichtig, gerade diese Message zu transportieren?



Mark L.: Mich ermüden die jährlichen Bekundungen gegen Antisemitismus der Politik nur noch, da darauf keine Taten folgen. Auf der einen Seite bekundet man die Solidarität für Juden und für Israel und auf der anderen Seite gratuliert man ein paar Tage später dem islamistischen Regime in Teheran, das wöchentlich dem einzigen jüdischen Staat mit Auslöschung droht, zum Jahrestag der islamistischen Revolution. Das ist scheinheilig.

AVIVA: Synagogen, Schulen und andere jüdische Einrichtungen in Deutschland stehen unter Polizeischutz. Und dennoch: Am 9. Oktober 2019, zu Yom Kippur, dem höchsten Feiertag im jüdischen Kalender, hat ein rechtsextremistischer, antisemitischer Attentäter einen Mordanschlag auf die Synagoge in Halle verübt. (Eine neue Dimension von Antisemitismus?) Wie ist die Situation in Dortmund, wie sicher fühlst Du Dich in Dortmund?

Mark L.: Da ich selbst nicht als Jude erkennbar bin, fühle ich mich sicher. In bestimmte Stadtteile Dortmunds sollte man dennoch nicht mit einer Kippa auf dem Kopf gehen. Zu nennen wäre da beispielsweise die Nordstadt oder auch bestimmte Ecken in Dorstfeld. Das würde ganz sicher zu Konfrontationen führen.


AVIVA: Im Kontext von Antisemitismus bezeichnet "Othering" das Ausgrenzen von Jüdinnen_Juden als "Außenseiter_innen", als "nicht-dazugehörig". (Wo) bist Du schon selbst – real oder im virtuellen Raum – antisemitischen Klischeebildern oder Antisemitismus begegnet?

Mark L.: Schon in der Schule war ich der "reiche Jude", das sind allerdings Klischees, mit denen ich leben kann.
Schlimmer ist, dass "Du Jude" heutzutage ein gängiges Schimpfwort unter Jugendlichen geworden ist, das war damals nicht so.

Am offensichtlichsten ist allerdings der Antisemitismus im virtuellen Raum. Zu nennen wäre auch israelbezogener Antisemitismus, ob in Facebook-Gruppen, die trotz Meldung nicht gesperrt werden oder bei gängigen Rapstars in Deutschland, die in ihren Songs oder Social Media Kanälen Hass auf Juden und Israel verbreiten.


AVIVA: Hast Du bei gegen Dich persönlich gerichteten antisemitischen Angriffen, oder z.B. nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle an Yom Kippur spontane Solidarität oder Empathie von nicht-jüdischen Freunden oder Freundinnen erfahren?

Mark L.: Es wurde darüber gesprochen, aber warum sollte ich Empathie erwarten? Empathie haben die Menschen verdient, die wirklich in Halle in der Synagoge saßen!


AVIVA: Wo hast Du in der Vergangenheit bei offenem oder verstecktem Antisemitismus Unterstützung vermisst?

Mark L.: Ãœberall, Antisemitismus ist mittlerweile "normal". Virtuell wird er von allen Seiten verbreitet, Gegenrede ist selten.


AVIVA: Wo/inwiefern wünschst Du Dir zukünftig mehr Unterstützung, Support, Empathie, Solidarität in der Zukunft? (von Seiten der Zivilgesellschaft, im nicht-jüdischen Freund_innenkreis, etc.)? In welchen Bereichen sollte die Zivilgesellschaft mehr Verantwortung übernehmen?

Mark L.: Als vor einiger Zeit viele Menschen (verständlicherweise) für George Floyd auf die Straßen gingen, war die Unterstützung groß. Bei Angriffen auf uns Juden ist das nicht der Fall. Das zeigt mir, dass die Verantwortung leider bei uns Juden liegt. Wenn die Gesellschaft es nicht tut, müssen wir es tun. Das sollten wir lauter machen und Probleme auch klar benennen, das geschieht meiner Meinung nach nicht.


AVIVA: Immer wieder kursieren altbekannte antijüdische Verschwörungstheorien, wie während der Covid-19-Pandemie auf den sogenannten "Hygienedemos" der "Querdenker" bzw. "QAnon". Hier sehen wir die öffentliche Bagatellisierung der Shoa, Bilder von Menschen in KZ-Kleidung oder von Anne Frank. Welche Klischees werden Deiner Meinung nach bedient und was hat Dich an diesen Bildern am meisten geschockt oder verletzt?

Mark L.: Nichts hat mich daran geschockt oder verletzt. Als bei Palästina-Demos "Juden ins Gas" und "Adolf Hitler" gerufen wurde oder zur Auslöschung Israels aufgerufen wurde, geschah auch nichts. Es macht mich eher wütend, dass dies schon damals zugelassen wurde und nicht reagiert wurde. Dementsprechend ist man es heute leider gewohnt.


AVIVA: Denkst Du, wir müssen als Juden und Jüdinnen mehr Solidarität (öffentlich) einfordern? Wenn ja, wie/wodurch?

Mark L.: Ich denke, dass es leider nichts bringt, wenn man es einfordert. Dies muss von der Zivilgesellschaft selbst kommen. Man kann niemanden dazu zwingen solidarisch zu sein.


Zum Thema > Antisemitismus in der Schule": Im wissenschaftlichen Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin mit der Universität Gießen von Prof. Dr. Samuel Salzborn und Dr. Alexandra Kurth aus dem Jahr 2019 wird eine unzureichende Wissensvermittlung im Lehramtsstudium und schlechte Schulbücher geringes Problembewusstsein und Engagement bei schulischen Akteur:innen und Bundesländern dokumentiert. Das Gutachten ist online unter: www.tu-berlin.de


AVIVA: Du bist Lehrer. Unter Kindern und Jugendlichen wird das Wort "Jude" auf Schulhöfen oder in Sozialen Netzwerken ganz offen als Schimpfwort benutzt. Zudem kommt es unter Schüler:innen immer wieder zur Gewaltbereitschaft mit antisemitischem Hintergrund. Warum, denkst Du, kommt es sogar schon unter Kindern und Jugendlichen zu antisemitischen Denken und Gewaltbereitschaft? Was kann und sollte dem entgegengesetzt werden?

Mark L.: Leider werden viele Kinder so sozialisiert. Vor allem, wenn sie aus dem arabischen Raum kommen, wo Antisemitismus oft leider normal ist. Dort kriegen sie es früh mit, ob von der Familie und Freunden oder aus arabischen Fernsehsendern. Bildung ist die Lösung. Die Kinder müssen mehr über Juden lernen, nicht nur über den Holocaust, sondern auch über lebende Juden.
Genauso aber auch über Israel, man muss ihnen aufzeigen, dass Israel eine freiheitliche, gemischte Gesellschaft ist, in der auch Muslime frei mit vollen Rechten leben. Ich denke, dass Begegnungsprojekte zwischen Israelis und hier lebenden Jugendlichen sehr wertvoll sein können. Deswegen sollte man mehr Schüleraustausch-Programme zwischen Deutschland und Israel fördern.


AVIVA: Dir ist es ein Anliegen, Schüler:innen weiterzubilden, die von antisemitischen Fakenews bei Instagram, YouTube und anderen digitalen Medien 24/7 beeinflusst werden. Wie kann das gelingen? Hast Du eine bestimmte Methode, wie gehst Du vor?

Mark L.: Ich denke, dass das leider sehr schwierig ist, da die Kinder heutzutage sehr viel Zeit am Handy verbringen. Warum sollten sie eher ihrem Lehrer glauben als dem Instagram oder Rap-Idol, das sie über alles vergöttern? Dazu sind Lehrerinnen und Lehrer in der Schule auch so schon unter Zeitdruck, Lehrpläne und weitere Bildungsvorgaben abzuarbeiten.

Die Bildungswissenschaften haben da meiner Meinung nach noch Nachholbedarf. Hier ist die Schulung von Medienkompetenz sehr wichtig, damit die Schüler Fakes von Realem unterscheiden können. Es ist ein kompliziertes Thema, dem man auf jeden Fall mehr Beachtung schenken muss.


Mark L. wurde 1991 in Kirowograd, Ukraine geboren. 1993 emigrierte Mark mit seiner Familie als Kind jüdischer Kontingentflüchtlinge nach Dortmund, wo er seitdem lebt. Nach dem Abitur studierte er auf Lehramt und unterrichtet die Fächer Sport und Geschichte.
Mark ist es wichtig, allen antisemitischen Formen entgegenzutreten. Besonders die Schulbildung sieht er dabei als Grundstein, um Schülerinnen und Schüler weiterzubilden, die heutzutage von Fakenews bei Instagram, YouTube und anderen digitalen Medien 24/7 beeinflusst werden. Insbesondere auch von ihren Helden wie beispielsweise Rapstars in Deutschland, die direkt und auch indirekt Antisemitismus verbreiten.

Dortmund setzt ein Zeichen gegen Antisemitismus

Antisemitismus in Deutschland hat viele Gesichter: Auch in Dortmund zeigt die Bilanz antisemitischer Straftaten einen eklatanten Anstieg. Zahlen des im April 2020 veröffentlichten ersten Antisemitismusberichtes für Nordrhein-Westfalen belegen für 2018 einen Zuwachs um 19,6%. Für das Jahr 2019 wurden 310 antisemitische Straftaten erfasst, davon sind 290 Straftaten der politisch motivierten Kriminalität rechts zuzuordnen.

Die Publizistin und Fotografin Sharon Adler und die Künstlerin Shlomit Lehavi wollen mit diesem Projekt die Erfahrungen von Jüdinnen und Juden abseits der Statistiken abbilden und deren Perspektiven und Strategien erfragen. Durchgeführt wird das Interview- + Fotoprojekt "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS in Dortmund!" von AVIVA-Berlin in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund – Koordinierungsstelle Vielfalt, Toleranz und Demokratie und in Partnerschaften mit der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund, und der Amadeu Antonio Stiftung.

Mitmachen: Das AVIVA-Interview- + Fotoprojekt "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS in Dortmund!" im Jahr 2021. Konzept, Ablauf und Hintergrundinfos

Eingeladen, mitzumachen sind jüdische Menschen aller Generationen und Herkunft, die in Dortmund leben und/oder aktiv sind. Menschen, die sich beruflich gegen Antisemitismus positionieren ebenso wie Menschen, die von ihren persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland erzählen möchten. Die dazu beitragen wollen, dass diese Erfahrungen von Alltagsantisemitismus auch nicht-jüdischen Menschen bewusst werden. Menschen, die mit ihrem eigenen Statement ein sichtbares Anti-Antisemitismus-Zeichen schaffen wollen.

Das Demo-Plakat

Die Teilnehmer:innen können zwischen vier verschiedenen Signets für "ihr" Demo-Plakat wählen.

JETZT ERST RECHT-Stop Antisemitismus

Weitere, detailliertere Informationen zum Ablauf und zur Teilnahme sind online unter:

AVIVA-Interview- + Fotoprojekt "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS!" sowie unter: www.dortmund.de

Wer Interesse hat, an dem Interview- + Fotoprojekt JETZT ERST RECHT! teilzunehmen, kann mit Sharon Adler Kontakt aufnehmen:
Per eMail unter: dortmund@aviva-berlin.de oder telefonisch unter: 030 - 691 85 03 oder 030 - 698 16 752


Konzeption, Projektleitung + Kooperationen

Konzeption und Projektleitung: Sharon Adler, AVIVA-Berlin
Künstlerische Leitung: Shlomit Lehavi

In Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund – Koordinierungsstelle Vielfalt, Toleranz und Demokratie



Partnerschaften

In Kooperation mit der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund, und der Amadeu Antonio Stiftung.



Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

AVIVA-Interview- + Fotoprojekt JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS: Dennis Khavkin
Um die Erfahrungen und Forderungen von Jüdinnen und Juden zu (Alltags-)Antisemitismus in Dortmund sichtbar zu machen, hat AVIVA-Berlin in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund – Koordinierungsstelle Vielfalt, Toleranz und Demokratie das Projekt "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS!" initiiert. Einer der Teilnehmer:innen ist der Student der Wirtschaftswissenschaften an der TU Dortmund, Dennis Khavkin, der in der jüdischen Jugendarbeit und Studierendenarbeit aktiv ist. Sein Slogan lautet: "JETZT ERST RECHT! - STOP ANTISEMITISMUS" – "Mehr Solidarität! Weniger leere Versprechungen!"

Die Interviews und Statements gegen Antisemitismus der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die im Jahr 2020 ihre Antisemitismuserfahrungen mit Sharon Adler auf AVIVA-Berlin geteilt haben sind veröffentlicht unter: AVIVA-Interview- + Fotoprojekt "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS!"



Copyrights:

Copyright Foto von Mark L.: Mark L.

Copyright Signet "JETZT ERST RECHT! STOP ANTISEMITISMUS!": Gestaltet wurde das Signet von der Künstlerin Shlomit Lehavi. Alle Rechte vorbehalten. Nutzung ausschließlich nach vorheriger schriftlicher Anfrage und Genehmigung durch AVIVA-Berlin und die Stadt Dortmund – Koordinierungsstelle Vielfalt, Toleranz und Demokratie.


Jüdisches Leben

Beitrag vom 04.04.2021

AVIVA-Redaktion